Zeitzeugenberichte und ErinnerungenPflanzfrauen – Kulturfrauen in Schüllar-Wemlighausen
In welchen Jahren die Pflanzfrauen, heute Kulturfrauen genannt, damit begonnen haben, die kahlen, zuvor gerodeten Waldflächen wieder neu zu bepflanzen, weiß man nicht so genau.
Aus Erzählungen weiß man, dass es sie schon lange gibt – vielleicht seit der Jahrhundertwende.
Meistens waren es fürstliche Waldgrundstücke, die mit Hilfe der Förster, Waldarbeiter und den Pflanzfrauen wieder neu mit Fichten angepflanzt und gepflegt wurden. Die Rentkammer unterhielt dafür eigene Pflanzgärten, wo die kleinen Fichten vom Samen bis zum Setzling von den Frauen bearbeitet wurden. Das dauerte 4–5 Jahre. Und bis heute arbeiten festangestellte Kulturfrauen im Wald für die Rentkammer mit vielerlei Aufgaben und Arbeiten.
In den Gemeinden wurden ebenfalls junge Frauen und Mädchen – nachdem sie mit 14 Jahren aus der Schule kamen – als Pflanzerinnen im Frühjahr und Sommer gesucht. Die Mädchen waren froh, wenn sie dort gutes Geld verdienen konnten. Es war noch nicht üblich, dass Mädchen nach der Schulzeit direkt mit einer Ausbildung starteten oder Geld in einer Fabrik verdienen konnten. Dafür gab es in Schüllar oder Wemlighausen kaum Möglichkeiten.
Meist halfen sie zuhause auf dem Bauernhof mit, wie auch die Bauerjungen. Diese konnten sich dann im Winter etwas Geld verdienen, indem sie mit ihrem Vater aus dem fürstlichen Wald oder auch aus dem eigenen Wald Holzstämme mit dem Ochsengespann – wenige auch mit dem Pferdefuhrwerk – nach Berleburg in den Holzverarbeitungsbetrieb von Joh. Georg Stark fahren und abladen konnten. Manche Jungen gingen auch mit den älteren Waldarbeitern mit. Sonst blieb nur noch das Holzlöffelschnitzen im Winter: zuhause in der Stube, wo sich alle Familienmitglieder beteiligen konnten.
Besonders in den Jahren nach dem 2. Weltkrieg waren viele Waldflächen zur Neubepflanzung frei, nachdem die Engländer 1946–47 das Stammholz abtransportiert hatten. Viele der heutigen Wälder wurden regelrecht von Frauen geprägt.
Zuvor hatten Gefangene und Zwangsarbeiter diese Bäume für den Abtransport fällen müssen. Diese Männer kamen von Berleburg, aus ihrer Notunterkunft und der Metallfabrik „Bertram Müller“, wo sie zuvor gearbeitet hatten – zu Fuß, Tag für Tag durch Wemlighausen marschierend bis zum Birkenkopf und zum Rüsselsbach, um dort für die englische Besatzung das Holz zu schlagen. Englische Lastwagen fuhren durchs Dorf, um die Rohstoffe abzutransportieren.
Manchmal nahmen sie auch Jungen aus dem Dorf mit. Karl-Heinz Graf erzählte uns davon. Sie durften mitfahren, bis der beladene LKW wieder durch das Dorf zurückfuhr und sie aussteigen konnten. Das war ein interessantes Erlebnis. Die Holzstämme wurden in Berleburg am Bahnhof auf Waggons verladen.
Zitat aus dem landwirtschaftlichen Wochenblatt
„Heute ist fast vergessen, dass es solche ‚Demontagen‘ nicht nur in der Industrie, mit abgebauten Industrieanlagen, die in die Sowjetunion transferiert wurden, sondern auch in den Wäldern des Landes mit dem Exportieren des Holzes gab.
Mit einem wesentlichen Unterschied: Während der Abbau der Industrieanlage entschädigungslos erfolgte, galt der Abtransport von Rohstoffen wie Holz als ‚Zwangsexport‘ und war zu entschädigen. Den Preis legten die Siegermächte fest – also mit sich selbst.“
Als 1948 die D-Mark eingeführt wurde, fiel die Entschädigung unter den Nutzwert des Holzes. Für 1,5 Mio. Festmeter Holz zahlten die Briten kurz vor der Währungsreform 25 Mio. Reichsmark, bis 1951 weitere 11,8 Mio. D-Mark.
Im Dezember 1947 schlossen sich Waldeigentümer zusammen. Sie wollten ihre Stimme gegenüber den Militärbehörden bündeln, um weitere Kahlschläge zu verhindern und eine zügige Rekultivierung zu organisieren. Aus Mangel an anderem Pflanzgut wurden Kiefern, vor allem aber junge Fichten gesetzt. Sie versprachen einen schnellen Anwuchs und eine rasche Verwendung des Holzes.
In dieser Notkultivierung der kriegs- und nachkriegsgeschundenen Kahlflächen liegt ein wesentlicher Grund für die später als ‚Monokultur‘ kritisierten Nadelholzwälder in Nordwestdeutschland.
Der mentale Schaden war immens. Die Hiebe in den Wäldern gruben sich tief ins kollektive Gedächtnis der Landbevölkerung, insbesondere der Waldeigentümer, ein.
Für Ärger sorgte das Vorgehen der ‚Woodpecker‘ und das harsche Auftreten mancher Offiziere. Erheblich länger hielt sich der Eindruck einer schwer beschädigten Natur. Auf den Kahlflächen sahen Forstleute und Waldbauexperten eine Katastrophe auf Natur, Landschaft und Holzwirtschaft zurollen. Sie erwarteten starke Bodenerosionen und schwere Störungen des Wasserhaushaltes. Manche sahen sogar das Ende jeder Land- und Waldnutzung und damit das Ende der Waldarbeiter, Holzfuhrunternehmen und Sägewerke heraufziehen.“
Aber nun zurück zu den Pflanzfrauen.
Die Aufgabe der Pflanzfrauen bestand darin, sich frühmorgens die in einem Wassergraben eingeschlagenen Bündel mit Fichtenjungpflanzen mitzunehmen und auf den ausgewählten Flächen einzupflanzen. Meistens waren es Fichten, andere Baumarten standen nicht zur Verfügung.
Oberförster Jonny Prentice kam von Zeit zu Zeit zur Begutachtung vorbei und lobte die Mädchen. Sonst kümmerte sich Philipp Sommer aus Schäfershaus um das Vorankommen beim Pflanzen und betätigte sich als Lehrmeister.
Es wurden Pausen gemacht: Man setzte sich zusammen, aß sein Butterbrot, trank, was man sich von zuhause mitgenommen hatte, und erzählte sich Neuigkeiten aus dem Dorf.
Im Sommer wurden die kleinen Bäume von Ginster und Himbeersträuchern mit der Sichel freigeschnitten, damit sie genügend Licht bekamen, nach oben wachsen konnten und nicht unterdrückt wurden.
Im späten Herbst wurden die gepflanzten Bäume „geteert“, d. h. eine vermischte Flüssigkeit aus Kalk und Kuhmist wurde an ihren Terminaltrieb gestrichen, damit Rehe und Rehböcke nicht ans Abfressen dachten.
Nach 10 Stunden Arbeit konnte man nach Hause gehen – erfreut über den Verdienst von 6 Mark.
In der Gemarkung Wemlighausen wurden Pflanzgärten angelegt, um neue, eigene kleine Fichten zur Verfügung zu haben:
im Kohlwald, im oberen Wernsbach-Laibach (oberhalb der späteren Kohlwald-Sprungschanze), auf der Burg, im Petersgrund.
Diese wurden von Oberförster Prentice betreut. Es gab auch noch einen in Rehseifen „Schweizerhof“, der von Förster Lückel aus Raumland beaufsichtigt wurde, etwa von 1960 bis 1966.
„Oberförster Prentice, *07.07.1909 in Görlsdorf Kr. Uckermark, +03.05.1974, begraben in Wemlighausen, war hier bei uns in Wemlighausen tätig von 1938–1974. Er wohnte mit seiner Familie im Forsthaus in Kraftsholz.“
Die Pflanzfrauen in den ersten Jahren der Nachkriegszeit waren quasi die „Trümmerfrauen“ des Waldes. Denn es war zum Großteil ihre Leistung, die Wälder nach dem 2. Weltkrieg wieder aufzuforsten.
Als die Deutsche Mark im Jahr 1948 in der Trizone – den drei westlichen Besatzungszonen Deutschlands – und im Jahr 1949 in der Bundesrepublik eingeführt wurde, war die Gestaltung der neuen 50-Pfennig-Stücke eine der ersten Würdigungen. Die Rückseite der Münze zeigt das Bild einer Eichenpflanzerin. Damit sollte an die in den Wiederaufforstungen tätigen Waldarbeiterinnen sowie auch an die „Trümmerfrauen“ erinnert werden.
In den letzten Jahren haben wir erlebt, dass unser Fichtenbestandswald durch jahrelange klimatische Trockenperioden und dadurch folgenden Borkenkäferbefall vertrocknete und abstarb. In Schüllar und Wemlighausen waren 90 % der Fichten betroffen.
Wieder sehen wir die kahlen Bergkuppen – von hier aus bis ins Siegerland, nach Norden ins Sauerland, ins benachbarte Hessenland und auch in den Märkischen Kreis.
Nachdem der Sturm Kyrill großen Schaden anrichtete, wurden in den letzten 15 Jahren Douglasien, Lärchen, Ahorn, Buchen, Eichen und auch Fichten überwiegend von Arbeitskräften aus dem osteuropäischen Raum gepflanzt. Wildschutzzäune wurden aufgebaut, um die jungen Pflanzen zu schützen.
Zusammengestellt und aufgeschrieben von
Karin Strackbein geb. Homrighausen
Abgeschrieben von Luise Süreth/13.03.2024


