Vereine und VerbändeEvangelische Gemeinschaft „Im Gängelchen“, Wemlighausen
Wie entstand die Ev. Gemeinschaft in Wemlighausen?
Dazu ist ein kurzer Rückblick notwendig. Wittgenstein wurde Ende des 17. Jahrhunderts durch die fromme Gräfin Hedwig Sophie von Berleburg ein Mittelpunkt des Pietismus. Ab 1712 regierte ihr pietistisch geprägter Sohn Graf Casimir zu Wittgenstein-Berleburg. Er wird als fromm und weitherzig geschildert, war sehr tolerant und bot religiös verfolgten Personen (Pietisten) in Wittgenstein eine neue Heimat. In seiner Regierungszeit entstand von 1726–1742 die achtbändige Berleburger Bibel.
Im benachbarten Siegerland hatte bereits die Zeit des Pietismus, eine Frömmigkeits- und religiöse Erneuerungsbewegung des Protestantismus, schon ihren Lauf genommen. Ab ca. 1850 begann dort, im Gegensatz zu Wittgenstein, der industrielle Aufschwung. Und so kam es, dass Wittgensteiner Männer den Lebensunterhalt ihrer Familien als Bergleute, Hüttenarbeiter u. Maurer im Siegerland verdienten.
Aufgrund der Entfernung blieben sie in der Regel eine ganze Woche dort und kamen so neu mit der Bibel und dem Evangelium in den Orten ihrer Quartiere, in sogenannten „Haus-Versammlungen“, in Berührung. Das neu Gehörte und Erlebte gelangte durch sie nach Wittgenstein und in ihre Familien.
Hier in Wemlighausen wird nach der Überlieferung der „Onkel Ludwig aus dem Dambach“ genannt. Der 1888, nach dem Tod seiner Frau, aus Amerika wieder zu seinen Verwandten auf den Hof Dambach zurückkehrte, um dort seinen Lebensabend zu verbringen. Von ihm wird überliefert, dass er sehr fromm war und in Schüllar u. Wemlighausen Kranke und Alte besuchte, ihnen aus der Bibel vorlas und das „Evangelium“ auslegte. Er war sehr weltoffen, beschaffte Gebet- u. Predigtbücher für Bewohner unserer beiden Dörfer und kann als geistl. Vater der ersten christlichen „Hausversammlungen“ in Wemlighausen bezeichnet werden.
Weiter wird berichtet, dass er bei seiner Rückkehr hier noch 2 lebende Nichten hatte. Eine Frau Homrighausen, geb. Böhl, in Enes-Haus, und Elisabeth Grund, geb. Böhl, aus Enes-Haus (1847–1940).
Elisabeth Grund, geb. Böhl, aus Enes, war die erste, die ihr Haus (Daniels) hier für diese neue Versammlungsart öffnete. Es heißt: Man saß abends zusammen, tauschte Erfahrungen aus, las Abschnitte aus der Heiligen Schrift, sprach darüber, betete zusammen und sang die neuen „Erweckungslieder“. Dieses „Neue“ wurde in den evangelisch-kirchlich geprägten Dörfern sehr genau und kritisch beobachtet. Ihre Einladung zu den „Versammlungen“ brachte ihr manchen Spott von Jung und Alt sowie auch Nachteile ein. Zumal ihr Mann Daniel und die beiden Söhne sich für die neuen Zusammenkünfte öffneten.
Nicht zu vergessen in dieser Zeit ist Heinrich Wahl, genannt „Zehnschmidts Opa“ (\* 1872).
Im benachbarten Siegerland war mittlerweile der „Verein für Reisepredigt“ gegründet, der zu den kleinen Hausgemeinden/Versammlungen nach Wittgenstein, so auch nach Wemlighausen, Brüder/Prediger sandte, die, meist einmal im Monat, sonntags in den Bibelstunden das Wort Gottes auslegten.
Recht bald reichte der Wohnraum in den Häusern für die Bibel- und Gebetsstunden nicht mehr aus, und so entschloss sich Daniel Grund, in den Jahren ab 1904, ein „Vereinshaus“ auf dem Erbgrundstück seiner Frau aus Enes, in Gemeinschaftsarbeit mit den Stundenbesuchern, zu errichten, das 1930 an seinen Sohn Christian Grund (Daniels) überging.
Laut Grundbuchauszug übertrug er 1956 das gesamte Anwesen als Schenkung dem „Verein für Reisepredigt“. Seit 1984 als „Evangelischer Gemeinschaftsverband Siegerland und Nachbargebiete e.V.“ mit Sitz in Siegen-Weidenau bekannt.
Das Gemeinde-/Gemeinschaftsleben erfuhr damals einen Aufbruch und die Mitgliederzahlen nahmen zu.
Mit dem Beginn der NS-Zeit waren die Mitglieder der Gemeinschaft, wie überall, unter Kontrolle, indem schon 1936 eine genaue, lückenlose Registrierung und Mitgliederliste den Behörden vorzulegen war. In einer von der NSDAP geforderten Mitgliederliste von 1943 betrug die Mitgliederzahl zu der Zeit 78 Personen.
Mit dem Ausbruch des 2. Weltkrieges am 1. September 1939 brachen neue Notzeiten an, da viele Männer aus beiden Dörfern zum Wehr- und Kriegsdienst einberufen wurden. Aus der Gemeinschaft waren 15 Mitglieder Wehrmachtsangehörige. Zehn von ihnen, zwischen 24 und 37 Jahren, verstarben an der Front.
Man erlebte auch hier, wie überall, dass das Kriegsgeschehen an der Front sowie innerhalb des Landes, die Luft- und Bombenangriffe, rapide zunahmen. Und so waren die wöchentlichen Zusammenkünfte geprägt von Angst und Sorgen über die Entwicklung und Zukunft. In dieser sorgenvollen Zeit fanden sich zweimal in der Woche im Vereinshaus sowie in Wohnungen Beter zusammen. Das waren gleichzeitig Orte, wo man Nachrichten über die Frontangehörigen beider Dörfer austauschte und um gemeinsam Not, Sorgen und Kummer vor Gott zu bringen.
Nach Kriegsende normalisierte sich allmählich das „Gemeinschaftsleben“. Die sonntäglichen Bibelstunden und wöchentlichen Gebetsstunden blieben fester Bestandteil der Ev. Gemeinschaft bis in die heutige Zeit.
Der „Gemischte Chor Wemlighausen“, vermutlich vor 1927 gegründet, bereicherte die Sonntagsgottesdienste. Er übernahm während seines Bestehens Dienste bei örtl. Gottesdiensten in der Kirche, in Gefängnisgottesdiensten, Bibeltagen, Bibelwochen und Evangelisationsveranstaltungen und erfreute regelmäßig im Krankenhaus und Altenheim die Patienten und Bewohner.
| Chorleiter | |
|---|---|
| 1927 - 1968 | Heinrich Wahl I u. Heinrich Wahl II |
| 1968 - 1994 | Heinz Dienst |
| 1994 - 1996 | Heinrich Wahl III |
1996 wurde die Chorarbeit mangels Sänger beendet.
Der bis 1940 bestehende Männerchor lebte nach der Rückkehr der Sänger aus dem 2. Weltkrieg wieder auf. Über den Zeitpunkt seiner Auflösung ist nichts bekannt.
Die Gründung des Posaunenchores ist datiert auf Herbst 1925. Ein kleiner Bläserkreis besteht heute noch.
In die Entstehungszeit des Posaunenchores der Gemeinschaft fällt auch die Gründungszeit eines Männer- und Jünglingvereines, zunächst ohne feste Anbindung an eine übergeordnete Institution. Mit beginnender NS-Zeit 1933 waren Vereine dieser Art aufzulösen, es sei denn, sie schlossen sich einem übergeordneten Verband an. So kamen die 14 Mitglieder der Verpflichtung nach, über den Kreisverband Biedenkopf-Wittgenstein, sich als Verein dem Westdeutschen Jungmännerbund e.V., später CVJM Westbund, in Wuppertal-Barmen zum 31.12.1932 anzuschließen. (Der Verein „CVJM“ Schüllar-Wemlighausen wurde Ende 2024 aufgelöst).
Die „Sonntagsschule“ am Sonntagmittag wurde kurz nach dem Bau des Vereinshauses mit dem Ziel begonnen, Kindern von 6–14 Jahren aus unseren beiden Dörfern biblische Geschichten zu erzählen und begreifbar zu machen. Das Singen und Beten mit Kindern hatte genauso seinen festen Platz. Der erste Leiter dieser Kinderstunde war der 1872 geborene Zehnschmidts Opa.
Höhepunkte waren im Jahresverlauf die Weihnachtsfeier, Sonntagsschulfeste und Ausflüge in die nähere Umgebung. Ab 1952 wurde die Kinderstunde am Sonntagmittag nach und nach zur Jungscharstunde des bestehenden CVJM. So folgten der Einladung nicht nur Kinder der Gemeinschaftsmitglieder, sondern auch aus beiden Gemeinden, zumal der Kindergottesdienst in der Folgezeit in der Odebornskirche fast zum Erliegen gekommen war. Ab ca. 1980 wurde diese Arbeit mit Kindern in den Kindergottesdienst im Gemeindesaal der Odebornskirche verlegt und die „Sonntagsschule“ in der Ev. Gemeinschaft beendet.
Die Gemeinschaftsstunden, -gottesdienste am Sonntagabend und die regelmäßigen Bibel- u. Gebetsstunden am Mittwochabend bestehen bis in die Neuzeit (2024) und bieten den Besuchern eine Kraftquelle für den Alltag.
Der jeweilige Predigtdienst in diesen Stunden wird von Gemeinschaftspastoren, Gemeindepfarrern, Vertretern nahestehender Missionsgesellschaften, freien ev. Werken und eigenen Gemeinschaftsmitgliedern übernommen. Wobei für die meisten Gemeinschaftsmitglieder der Gottesdienst am Sonntagmorgen in der Odebornskirche fester Bestandteil ihres Gemeindeverständnisses ist.
Ausblick: Unsere örtl. Ev. Gemeinschaft ist, wie viele Werke, Kirchen und Vereine, auch dem demografischen Wandel unserer Zeit unterworfen. Bedingt durch den Weggang jüngerer Mitglieder, die Überalterung und Anzahl erkrankter Mitglieder, nehmen die Mitgliederzahlen ständig ab, sodass sich nur noch ein kleiner Kreis zu den wöchentlichen Gottesdiensten trifft.
Aber trotz dieser spürbaren Veränderungen bleibt die Hoffnung und Zuversicht, dass die Botschaft von der rettenden Liebe Gottes weiterhin im Zentrum von Gemeinschaft und Kirche in unseren beiden Ortschaften erhalten bleibt.
Quellen:
Festschrift 100 Jahre Ev. Gemeinschaft Wemlighausen
Schmidt, Jakob: Die Gnade bricht durch.
Geschichte der Erweckungsbewegung im Siegerland und in Wittgenstein
04.04.2025 -aufgeschrieben und zusammengestellt von Ernst-Willi Lückel (Bau).


