Zeitzeugenberichte und ErinnerungenErinnerungen Elvira Jansohn
In Wemlighausen, im Haus Dienst neben dem Spielplatz im Oberdorf, wurde ich am 21. Juli 1936 als zweite Tochter der Eheleute Georg und Luise Knebel, geb. Scherer, oben aus dem Heidebach, zur Welt gebracht. Sie wohnten zur Miete. Dienst Onkel Willi war auch ein Cousin von Luise Knebel, deren Mutter oben im Heidebach ebenfalls aus Bäckershaus stammte.
1937 zogen wir um nach Latzbruch: die Eltern Georg und Luise mit ihren beiden Töchtern Wilma und Elvira. In Latzbruch wohnten wir im kleinen fürstlichen Anwesen, ohne fließendes Wasser im Haus. Wir versorgten das Weidevieh in der Sommerzeit, sorgten für intakte Zäune und frisches Wasser in den Gräben. Ich hatte einen riesigen Spielplatz in Wald und Flur.
1942 kam unser Bruder Gustav zur Welt und ich wurde in Christianseck eingeschult. Es ist heute noch ein wunderschönes Schulgebäude mit einem Klassenraum für acht Jahrgänge. Lehrer Florin war ein guter Lehrer. Der Weg zur Schule war weit. Ich glaube, da habe ich schon laufen gelernt. Der Lehrer musste jedoch noch in den Krieg und ist gefallen. So war wenig Schule.
1943 zogen wir um nach Wemlighausen, ins Elternhaus meines Vaters. Der Opa lebte noch alleine. Für mich war der Schulweg ein kleiner Spaziergang. Dann zogen die Amerikaner bei uns ein, später die Engländer. Luftangriffe haben wir ebenfalls überlebt. Bei Luftalarm gingen wir zum Nachbarn Aderhold (Hirtehaus) in den Keller. Dort sang Tante Lina zur Gitarre, Onkel Fritz spielte Zither. Es war Belagerung, wenig Schule, manchmal Unterricht in der Kirche. Alles ging irgendwie weiter. Das Vieh musste versorgt werden. Vater war im Krieg und später in Gefangenschaft.
Der Krieg war endlich zu Ende. Ausgebombte Leute wurden bei uns untergebracht, später auch Vertriebene aus dem Osten. Jedes Stübchen wurde belegt. Unser Haus war voll bis unters Dach.
Irgendwann war auch das vorbei. Mein Vater kam 1946 nach Hause. Die Schule war wieder regelmäßig. Ein Jahr wurde angehängt, weil so viel versäumt worden war. 1950 Konfirmation – welch schöner Tag mit Pastor Kunze. 1951 Schulentlassung. Was nun? Die Jungen lernten einen Beruf. Für Mädchen war es nicht so einfach.
Ich ging zum Fichtenpflanzen für die Gemeinde. Mit einer großen Schar Frauen und Mädchen und dem Sommer-Philip (ein Urgestein). Wir bepflanzten die nackten Bergköpfe, die die Engländer kahlgeschlagen und abtransportiert hatten (Laubholz). Beim Pflanzen bekamen wir pro Stunde 75 Pfennige. Bei 10 Stunden waren das 7,50 DM am Tag und 150 DM im Monat.
1952 ging ich zur Firma Stark & Söhne nach Berleburg, in die Möbelproduktion, ins Lager und den Versand. An unserer Maschine war der Sanitätskasten, den ich mit einem netten Kollegen zu bedienen hatte. Ich musste Erste Hilfe lernen. So bin ich beim DRK geblieben – fast 70 Jahre Mitglied, davon 40 Jahre aktiv, auch als Erste-Hilfe-Ausbilderin.
Nach vier Jahren wechselte ich zur Färberei Schneider in Berleburg. Sieben Jahre bis zur Hochzeit 1962. Dort traf ich Elisabeth Dickel, eine Turnerin des Turnvereins, die mich dafür begeisterte. Das war ganz toll für mich. Ich hatte noch nie etwas von einem Stufenbarren oder Schwebebalken gehört – eine andere Welt. Im Dorf war das natürlich nicht recht („Sowas macht man nicht – ein Mädchen schon gar nicht“). Was ich wollte, hat niemanden interessiert. Ich habe es einfach gemacht. Es war mir wichtig.
1958: die 700-Jahrfeier in Berleburg. Der Oberturnwart suchte in allen Abteilungen. Er fand mich in der Frauengruppe. In der Mädchengruppe „Kunstturnen“ ging es richtig los. So viele kleine Mädchen wollten auch turnen, sodass ich bald Kinderturnwart wurde. Zur Ausbildung schickte mich der TV nach Frankfurt zur Deutschen Turnschule bei Adalbert Dickhut.
Zum ersten Mal alleine mit dem Zug nach Hessen – eine ganz andere Welt tat sich auf. Und zum ersten Mal Muskelkater. Turnen ist wie ein Virus – wird man nicht los.
1962 Hochzeit. Zwei wunderbare Kinder bekommen: Sohn Udo – Fußballer bis heute. Tochter Iris – Kunstturnerin, mal Westfalenmeisterin. Wieder Kinderturnen, später Rückenschule. Zwischendurch Übungsleiterscheine, auch für Herzsport. Menschen in Bewegung zu bringen, war mein Ding.
So wurde in Wemlighausen eine Gymnastikgruppe gegründet, die immer noch besteht. Im Gemeindesaal war es eng, aber schön gemütlich. Dann wurde die Turnhalle gebaut. Super 15 Jahre, schöne Fahrten, Wanderungen und Feste – vielen Dank! Das Gleiche in Hemschlar – auch dort besteht die Gruppe immer noch. Hier ging es 16 Jahre montags rund.
1977 Anfrage: Vertretung bei der WKA in den Kliniken. In der Baumrainklinik fing es an, die anderen kamen dazu. Im Kurhaus sollte wieder eine Gruppe entstehen – habe ich gerne gemacht. Täglich 2–3 Stunden Sport – da bleibst du selbst fit, sagte ich mir.
Dann suchte Chefarzt Dr. Walther jemanden für seine Herzpatienten. Das war ein großes Glück für mich. In dem Haus am Baumrain war eine wunderbare Atmosphäre. Zuerst halbtags, dann bald Vollzeit. Meine Familie war einverstanden. Mit 65½ Jahren war dann die letzte Schicht. Mir blieben die Herzsportgruppen bis Ende 2019. Danach habe ich die Lizenz nicht mehr erneuert.
Seit 1994 habe ich zwei wunderbare Enkelkinder. Melanie hat Handball gespielt, Lea Sophie, im Jahr 2000 geboren, ist eine begnadete Turnerin geworden. Für den TSV Aue-Wingeshausen hat sie manche Meisterschaft gewonnen.
Elvira Jansohn
