Zeitzeugenberichte und ErinnerungenLawine im Wittgensteinischen
Gibt es so etwas? Bei Lawinen denkt man eher an ein Hochgebirge, aber doch nicht an Wittgenstein. Aber eine zeitgenössische Darstellung aus dem Jahr 1845 vom Lehrer Dreisbach belehrt uns eines Besseren. Er berichtet von verschiedenen Lawinenabgängen in den Jahren 1841 und 1845.
So zerstörte eine Rutschlawine im Winter 1841 in Alertshausen ein Haus und verletzte die Frau des Hauses so schwer, dass sie an den Folgen verstarb. In Langewiese wurden Personen des Dorfes von einer Lawine einen Abhang hinuntergeschleudert. Aber sie konnten sich und ein zunächst vermisstes Kind, dessen Fuß aus dem Schnee hervorragte, befreien und so überleben. Die völlige Zerstörung seines Häuschens durch Schneemassen hatte ein Bauer in Elsoff zu beklagen, während er mit dem Leben davonkam.
Aber auch Wemlighausen war betroffen. So wird berichtet:
„Bei weitem die mächtigste und verderblichste unter den drei Lawinen hat aber unser armes, 45 Häuser zählendes und nach Berleburg eingepfarrtes Dörflein Wemlighausen betroffen. Ich darf sagen: es ist das schrecklichste Ereignis, welches ich erlebt habe, und unvergesslich wird mir diese Nacht bleiben. Es war am 27. März 1845 zwischen 9 und 10 Uhr abends, als drei Wohnhäuser und zwei Scheunen durch einen einzigen Stoß, das Werk eines Moments, dergestalt erschüttert und verwüstet wurden, dass die Rettung von Menschen und Vieh – mit Ausnahme einer einzigen Kuh – allen noch fast wie ein Wunder vor ihren Augen ist.“
Der durch die Heidebachschlucht fließende Bach hatte sich gestaut. Die aufgestauten Wassermassen drückten gegen die noch aufgeschichteten Schneemassen, so dass diese sich schließlich in Bewegung setzten. Es entstand eine Lawine aus Schnee, Eis, Steinen, Erde und Wasser, welche mit „unglaublichem Getöse“ auf das Dorf zukam.
Erfasst wurde das Wohnhaus der Familie Dreisbach (heute Frettlöh). Die Giebelmauer wurde eingedrückt, das Erdgeschoss überflutet, und „nur der auf den Ecksäulen ruhende Brustbalken stützte den Oberbau vor dem gänzlichen Einsturz“. Die Menschen konnten rechtzeitig fliehen, aber 7 Tiere wurden verschüttet, von denen 6 von den zur Hilfe Eilenden gerettet werden konnten – fast wie ein Wunder. Auch die Scheune der Familie wurde erheblich beschädigt.
Mehr aber litt die Scheune der Familien Weber und Stark (heute Hermes, später Grauel). Sie konnte der Gewalt der Lawine kaum Widerstand leisten und wurde fast vollständig zerstört.
Nun, angereichert durch die Balken und Bretter der zerstörten Scheune, traf die Lawine auf das benachbarte Haus des Colon Balz, gen. Pauels – Colon = Neubauer (heute Pauls) –, so dass das Erdgeschoss mit Wasser, Steinen und Bauholz bis zu 4 Fuß Höhe angefüllt wurde und großen Schaden erlitt.
Weniger gelitten hat das fünfte betroffene Gebäude, das Wohnhaus der Familien Weber und Stark (heute Hermes, später Grauel). Offensichtlich hatte die Lawine an Wucht verloren, so dass zwar die Schneemassen an drei Seiten des Hauses lagen und Wasser ins Haus eindrang, aber nichts zerbrach oder einstürzte.
Mit pathetischen Worten beschreibt der Autor den Schrecken, die Angst und die Empfindungen der Menschen „von dem heiligen Zorn, den die Natur uns Menschenkindern gegenüber offenbaren kann“.
Aber er weist auch auf den entstandenen Schaden hin, für den es keine Entschädigung gibt, und ruft auf, „den armen obdachlosen Menschen eine Gabe der Teilnahme und Erquickung zu reichen“. Denn selbst „unseres Fürsten Durchlaucht“ will zum Besten der Geschädigten im Schloss zu Berleburg ein Konzert veranstalten.
Wemlighausen bei Berleburg, 12. April 1845
Dreisbach, Lehrer
Originaltext wurde von Elmar Beckmann bearbeitet.
